„Laudatio“ von Karla Krause zur Präsentation im Zille-Museum am 9. 10. 2018

Comic Vorstellung im Zille Museum

Liebe, Lust, Prostata / Der Comic

„Laudatio“ von Karla Krause zur Präsentation im Zille-Museum am 9. 10. 2018
Veranstalter Interessengemeinschaft Nikolai-Viertel

Ein schmales rotes Heft. Auf dem Cover ein nackter älterer Mann. Mit Socken. Müde baumelt sein sogenanntes bestes Stück zwischen den Schenkeln. Der Mann schwitzt. Vor Angst? Vor Erschöpfung? Auf jeden Fall tut er mir leid. Was ist ihm passiert?

Mit wenigen gekonnten Strichen und noch weniger Wörtern erzählen die Zeichnerin Maki Shimizu und der Autor Friedrich W. Zimmermann die Geschichte dieses Mannes, die zugleich die Geschichte des Autors ist. Zimmermann hat über seine Krebserkrankung ein Buch geschrieben, detailreich, ausführlich, informativ. Nun liefert er die knappe Bildergeschichte nach. Als niederschwelligen Einstieg ins Thema sozusagen.

Der Schauplatz: Berlin. Nikolaiviertel. Unverkennbar. Von seinem Fenster aus sieht der Protagonist Nikolaikirche, Rotes Rathaus, Fernsehturm, Zille-Destille. Wie im richtigen Leben.

Hier wohnen unsere Hauptpersonen: Die lebenslustige Paula und ihr etwas älterer Gefährte. Sie leben dort gern und im offensichtlichen Liebesglück.

Dann der Einschlag, der Liebe, Lust und Leben gefährdet: Krebs der Prostata.

Wie in einem Stationendrama erzählen die Zeichnerin und der Autor in treffenden Bildern und mit wenigen Sprechblasen vom allmählichen Anstieg des PSA Wertes und den damit verbundenen Ängsten, von Biopsie und Diagnose und schließlich der OP, für die sich unser Protagonist entscheidet. Sie erzählen von der Zeit danach, den physischen und psychischen Einbrüchen, von Inkontinenz und Beckenbodentraining, von Impotenz und Viagra. Und sie erzählen vom großen Glück, eine verständnisvolle, geduldige Partnerin an der Seite zu haben, die manches Hindernis im Liebesspiel mit Phantasie überwindet.

Der Autor und die Zeichnerin erzählen genau. Bis an die Grenzen der Schamlosigkeit. Und wenn sie auch manchmal eine Zumutung sind, all diese Details: es muss darüber endlich gesprochen werden. Männer sterben zu jung. Die Bemühungen, sie zur Vorsorge zu bewegen, sind weitgehend gescheitert. Die Männergesundheit ist ein gesamt-gesellschaftliches Problem geworden.

Jeder Verlag kennt Angebote aus dem Genre „Wie ich den Krebs besiegte“. Oft sind sie in der ehrlichen Motivation geschrieben, anderen Mut zu machen. Aber kein Krebsfall ist wie der andere, und vielleicht überschätzen auch die sogenannten „Sieger“ den Anteil ihrer Willenskraft am glücklichen Ausgang. Verlierer müssen erfahren, dass sie alles gegeben und dennoch verloren haben.

Friedrich W. Zimmermann geht es nicht um seinen siegreichen Kampf gegen den Krebs. Er weiß, dass die Kampfrhetorik unangemessen ist. Vor allem wenn sie von einem benutzt wird, der glimpflich davongekommen ist. Wenn es ihm überhaupt um Kampf geht, dann um den Kampf gegen das Verdrängen, das Nicht-Wissen – und nicht darüber reden wollen. Männer, die problemlos über ihre Herzinfarkte sprechen, verstummen, wenn es um die Prostata geht, stecken den Kopf in den Sand und hoffen auf die Wirksamkeit von Kürbiskernen. Bei vielen scheint die Scham größer als die Todesangst. Dabei ist Prostatakrebs die zweithäufigste Krebstodesursache bei Männern. Rund 60.000 neue Fälle gibt es jährlich allein in Deutschland. Die Heilungschancen stehen gut – vorausgesetzt der Tumor wird früh entdeckt. Aber viel zu wenige Männer nehmen an der gesetzlichen Früherkennung teil. „Ich lasse es darauf ankommen“ diesen Spruch hat der Autor oft genug gehört. Und es klingt wie Pfeifen im Wald.

Friedrich Zimmermann ist auch ein Mann, also auch kein Held. Er kennt diese Ängste. Vor allem diese eine: die Angst vor dem endgültigen Aus des Liebeslebens. Und er wirbt um die Herzen und die Köpfe der Frauen, der Partnerinnen, denen er mehr Vernunft und auch mehr Phantasie zutraut als den eigenen Geschlechtsgenossen. Seine Erfahrungen mit der verständnisvollen Paula geben ihm Recht. Lieber tot als impotent? Für welche liebende Frau wäre das eine Alternative?

Kein Wunder also, dass der Autor eine Frau gesucht hat, um diese Männergeschichte zu illustrieren. Und wie diese junge Frau mit wenigen gezielten Strichen das Drama des alternden Mannes erzählt, ist wirklich frappierend. Auf ihrer Website wird sie von ihren Bewunderern mit etlichen großen Künstlern verglichen: mit Picasso und Andy Warhol z.B. – Oder auch mit Heinrich Zille.

Eine Japanerin, 1981 geboren und der Berliner Pinsel – Heinrich, das klingt zunächst reichlich hergeholt. Aber Maki kennt sich nicht nur im Nikolaiviertel aus, sondern auch in ihrem Neuköllner Milieu. Und wie sie das Kreatürliche ihrer Figuren erfasst, wie sie vor keiner Peinlichkeit zurückschreckt, ohne ihre Protagonisten zu verraten oder der Lächerlichkeit preis zu geben, diese absolute Menschenfreundlichkeit, die erinnert vielleicht doch an Heinrich Zille. Beider Humor ist mit einer scharfen Beobachtungsgabe verbunden und basiert oft auf dem Unglück ihrer Protagonisten. Denn wo Verzweiflung herrscht, gibt es auch Anlass für Humor, da wächst der Wille, das Beste aus der vertrackten Situation zu machen.

Liebe Maki, lieber Fritz, ich gratuliere euch zu eurem gelungenen kleinen Aufklärungswerk, das viele Leser und Leserinnen verdient. Der Interessengemeinschaft Nikolai-Viertel gratuliere ich zu ihrem engagierten Nachbarn und dem interessanten Fund direkt vor der Haustür……Copyright: Dr. Karla Krause | Friedrich W Zimmermann, Berlin


Nach meiner Lesung vor der Selbsthilfegruppe in Gelsenkirchen-Buer kam ein alter (mein Alter) Herr zu mir und wollte das Buch kaufen. Er hatte seine OP hinter sich, war offenbar gut drauf, wollte das Buch trotzdem kaufen. Und er sagt mir – unaufgefordert -, dass es das Exemplar für seine beiden Söhne kaufe. Sie sollten mal nachlesen, wie wichtig Vorsorgeuntersuchungen seien. Diesmal aus einem anderen Blickwinkel, weil sie die Ratschläge des Vaters wohl nicht mehr so ernst nähmen: Vorsorgeuntersuchungen können Leben retten. Mein Buch, in einfacher und verständlicher Sprache geschrieben, mit Happy End, würde den Söhnen keine Angst machen.

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